Was man von hier aus sehen kann
- Cécile Abati
- 17. Okt. 2023
- 2 Min. Lesezeit

Ich sitze mit einer Freundin in der OléOlé Bar, vorderste Reihe, direkten Blick auf die belebte Strasse. Wir nippen an unserem kühlen Rosé, Musik die lange nicht mehr in den Charts ist spielt vor sich hin im Hintergrund, etwas Zigarettenrauch von links zieht an mir vorbei und der Duft von zu viel Parfum was man an einem ersten Date aufträgt, hinter mir. Die Luft ist kühl, ich bin froh hat sie darauf bestanden, dass ich einen Pullover unter meinem schwarzen Blazer tragen soll. Die Füsse am kleinen Holztischchen vor uns abgestützt, beugen wir uns zu nahe zu einander um die erfundene Geschichten des jeweils anderen im Menschengetümmel zu verstehen die wir den an uns vorbeiziehenden Menschen zuschreiben. Eine Frau, etwa um die 50 Jahren fährt geschwind mit ihrem Trottinett an uns vorbei. Ihr zerzaustes Haar umarmt ihr Gesicht, sie schaut hastig zurück, ruft jemandem zu, wir sehen niemanden. Teenager mit tiefgeschnittenen Jeans, einem möglichst glitzernden Gürtel um die Hüfte, eine zu grosse Lederjacke und ein T-Shirt mit Aufdruck und dazu eine Sonnenbrille, die Anfangs 2000er sind zurück, ein Mysterium warum. Wir dichten den angeblichen Pärchen zu wie lange sie bereits zusammen sind, ihre Wohnsituation, was sie heute gerade auf der Arbeit erlebt haben, wer womöglich Eltern und Kinder sind, wer gerade auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier ist, wer Geschichte studiert und wer wohl recycelt. Neben mich gesellt sich ein Mann, etwa 40 Jahre alt und etwa 2.5 mal mehr Mensch als ich, seine Hände sind etwa so gross wie mein Kopf, ein Wunder hat er in den kleinen roten Stühlen platz. Wir geben uns Mühe und führen etwas Smalltalk über die schöne kleine Schweiz mit dem Kanadier im T-Shirt bei 10 Grad, leeren unser zweites Glas Rosé und verabschieden uns. Wir gehen weiter, zwei faszinierend kreative Cocktails, einem Stück Pizza mit Mac and Cheese, einem Gespräch über das "erwachsene" Leben später gehen wir nach Hause.

Seit ein paar Wochen sehe ich morgens wenn ich aufwache, nicht meine gewohnte Nachbarin und ihre Kunden, sondern Bauarbeiter die auf mein auf Fensterhöhe platziertes Bett schauen. Mit einem Kaffee in der Hand, gespannt wer bald meine neuen Nachbarn sein werden, neben mir das Buch "Was man von hier aus sehen kann" liegend, beobachte ich von meinem Bett aus, wie das Gerüst aufgebaut, die Räume ausgeräumt, Wände abgerissen, Mulden gefüllt werden. Das Puff gegenüber wird renoviert, Edelprostitution oder Gentrifizierung?