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Verlorener Airpod

  • Autorenbild: Cécile Abati
    Cécile Abati
  • 6. Juli 2023
  • 2 Min. Lesezeit

Ich schloss mein Fahrrad ab, öffnete die Tür, drehte meinen Schlüssel und betrat auf Zehenspitzen den Briefkasten. Gewaltsam öffnete ich den Milchkasten und schloss ihn genauso gewaltsam wieder. Ich war zu Hause angekommen und stellte meine überquellende Tasche in mein Zimmer. Ich tauschte ein paar Worte mit meinen Mitbewohnern aus.


Musik lief im Hintergrund, das Wasser kochte. Langsam liess ich die Gemüsesauce in die Pfanne gleiten, um Flecken zu vermeiden. Salz, Weizen, Gemüse, die Basis meiner Ernährung, vor mir kochend auf dem Herd.


Kurzes Klingeln. Eine Minute und ein paar Stockwerke später stand sie keuchend vor meiner Haustür. Wir hatten uns zum Abendessen verabredet und wollten anschliessend ins Kino gehen.


Wir wickelten die Linguini um unsere Gabeln, rieben Käse und verzierten die Teller mit Rucola. Nach etwa einer Stunde machten wir uns bereit. Ich zog meine graue Strickjacke und meinen beigen Blazer an. Bei diesem wechselhaften Wetter weiß man ja nie (eine Regenjacke wäre die intelligentere Entscheidung gewesen). Ein paar Treppenstufen später kam es ihr plötzlich in den Sinn. „Ich habe hier vorhin einen AirPod liegen sehen, wollte dich noch fragen, hast du deinen?“

Ich öffnete leicht zögerlich mein Case und starrte auf die leere Stelle. Mein linker AirPod war verschwunden. Wir schauten uns an und begannen zu suchen. Der gemusterte Boden half dabei nur wenig. Briefkasten auf, Briefkasten zu, Tür auf, Tür zu, klingeln, nachfragen, hoffen. Ich sah meinen linken AirPod auf "Wo ist es?". Geniale Erfindung, frage mich nur, wie präzise sie ist. Laut dieser App war mein AirPod ganz in der Nähe, aber nicht nah genug, um gefunden zu werden.


Erfolglos.


Nach dem Kino versuchte ich mein Glück noch einmal. Ich lief den Gang ab, fragte im Hotel nebenan nach und auch in der Bar gegenüber. Dort hatte ich das beste Signal und konnte einen Ton abspielen lassen, doch die laute Musik in dieser Kontaktbar hinderte mich daran, etwas wahrzunehmen. Meine Ohren bildeten sich ein, etwas gehört zu haben, aber keine der befragten Frauen wusste etwas von meinem verlorenen AirPod. Die Musik war auch etwas zu laut, aber an diesem Ort darum zu bitten, die Musik auszustellen, kam mir auch nicht richtig vor bzw. fehlte mir der Mut dazu.


Ich lief noch ein paar Runden, versuchte diesen Ton abzuspielen, und gab irgendwann auf.

Heute Morgen um 05:06 konnte ich meinen AirPod zuletzt orten, zwei Strassen weiter hinten. Weiß ich jetzt, wo meine Nachbarinnen wohnen oder wo ihre Kundschaft wohnt? Habe ich meinen AirPod an die Prostitution verloren? Oder ist der Ortungsdienst auch einfach etwas ungenau?



Mit Phantomschmerzen laufe ich durch die Strassen und suche nach meinem verlorenen Airpod ganz ohne Musik in meinen Ohren.

 
 

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