Die "Karriere-Bahn"
- Cécile Abati
- 22. Okt. 2024
- 2 Min. Lesezeit
Ich sitze im Kino, meine Hände brennen, das Chlor füllt die rauen Stellen an meinen Händen aus, wie eine zu fettige Handcreme, die man nicht mehr abbekommt. In meiner linken, brennenden Hand halte ich einen 6 Euro Gin Tonic. Ich sitze im Kino mit drei Freundinnen. Die ersten Popcorn stopfe ich mir leicht unbeholfen mit meiner rechten, brennenden Hand in den Mund, Werbung läuft auf der Leinwand vor uns. Fast kommt es mir so vor, als spiele dieses Kino personalisierte Werbung. Anti-Schimmel-Werbung. Ich schaue nach links und nach rechts, um mich zu vergewissern, ob mein Hirn mir nicht durch eine Chlorvergiftung eine Illusion präsentiert hat, aber dem ist nicht so, meine Freundinnen schauen mich an, wir lachen. Ich war nun seit 2 Nächten in meinem neuen Zuhause. Mein neues Zuhause hat eine hässlich türkisene Wandfarbe und um das Fenster herum Schimmel. Meine heile und wahrscheinlich durchaus eitle Schweizer Weltanschauung trieb mich zu DM, Anti-Schimmel-Spray zu kaufen. Ich schrubbte diesen Schimmel weg, einen grossen Teil hat vermutlich meine Brille, meine Haare und der Rest meines Gesichtes abbekommen, als ich ungeschickt auf der kleinen silbernen Leiter stand. Einen Tag später wurde Isoliergrund gestrichen, ein paar Tage später weisse Farbe. Die Matratze 160x200 cm transportierten wir mit der Tram, das Bettgestell ein paar Tage später ebenso. Wir waren die einzigen, die die Tram als Transportmittel nutzten.
An meinem ersten Arbeitstag tippe ich die Adresse meines neuen Zuhauses ein. Google Maps schlägt mir vor, 10 Minuten zu Fuss zu gehen und anschliessend die Tram "Karriere-Bahn" bis vor meine Haustür zu nehmen. Ohne das Internet zu hinterfragen, lief ich meine 10 Minuten, wartete an der Tramhaltestelle, sah die Tram "Wilder-Mann" vorbeifahren, wunderte mich ein bisschen darüber, wie sie hier all ihre Endhaltestellen der Trams benennen und stieg dann ein paar Minuten später in mein Tram, die "Karriere-Bahn", ein. Eine Frau schaut mich sehr enthusiastisch an und begrüsst mich, nett hier, die Menschen. Ich nehme meine AirPods aus meinem Gehörgang und sage hallo zurück. Sie schaut mich immer noch freundlich und zugleich leicht fragend an, ob ich denn bewusst in diese Tram eingestiegen sei. Ich antworte etwas zu selbstbewusst, mit einem Anflug von Stolz über meine Selbstständigkeit, wie gut ich mich schon in der neuen Stadt auskenne, mit "Ja, Google Maps hat mir vorgeschlagen, diese Tram zu nehmen." Ich strecke ihr mein iPhone leicht fettigen Bildschirm entgegen, um ihr meine Aussage auch visuell zu bestätigen. Sie schmunzelt und erklärt mir, das hier sei die "Karriere-Bahn", die fahre zwei Mal pro Jahr, helfe Menschen in der Jobsuche, Beratung und so weiter, ob ich auf der Suche nach einem Job sei. Jetzt, ohne Stolz über meine Selbstständigkeit, antworte ich ihr, nein das passt schon, ich hatte heute meinen ersten Arbeitstag. Wir lachen uns beide leicht beklemmt an und sie sagt mir, ich könne gerne in der Bahn bleiben und bis zu meiner Haltestelle mitfahren. Ein grosser Umweg, zu meiner Erleichterung noch diverse andere irritierte Personen, die nichts von der "Karriere-Bahn" wussten. Da sitze ich nun in der "Karriere-Bahn" für die kommenden vier Jahre.